Strategisch klug - nicht nur compliant: Wie Lohmann Nachhaltigkeit im Unternehmen verankert und was es jetzt politisch braucht, damit Transformation gelingt.
Lesen Sie mehr im folgenden Interview mit Katharina Candia Avendaño, Global Head of Sustainability bei Lohmann.
Redaktion: Lohmann verfolgt einen klar definierten Sustainability-Ansatz – und das in einem Umfeld wirtschaftlicher Unsicherheit, geopolitischen Spannungen und disruptiven Veränderungen. Warum ist dieser Fokus für Sie weiterhin so entscheidend?
K. Candia Avendaño: Nachhaltigkeit ist kein Add-On, sondern eine der drei strategischen Säulen von Lohmann – gleichwertig neben Exzellenz und Innovation. Dieser Stellenwert zeigt sich auch inhaltlich: Nachhaltigkeit umfasst für uns nicht nur ökologische Aspekte wie Ressourcenschonung oder Emissionsminderung, sondern ebenso soziale Verantwortung, langfristig profitables Wachstum und ein verlässliches Governance-Framework.
Gerade in einem instabilen globalen Umfeld ist es entscheidend, unternehmerische Resilienz ganzheitlich zu denken. Nachhaltigkeit hilft uns dabei, Risiken frühzeitig zu erkennen, stabile Partnerschaften aufzubauen, Erwartungen von Stakeholdern zu erfüllen – und strategisch handlungsfähig zu bleiben. Sie schärft unsere Risikowahrnehmung, stabilisiert Wertschöpfungsketten und adressiert konkret die Transformationsrisiken, mit denen wir als Industrieunternehmen konfrontiert sind.
Redaktion: Welche Entwicklung beobachten Sie in der praktischen Umsetzung von Nachhaltigkeit – insbesondere in der Zusammenarbeit mit Kunden und Partnern?
K. Candia Avendaño: In den letzten zwei Jahren hat sich Nachhaltigkeit als Unternehmensbereich stark weiterentwickelt, insbesondere was die Arbeit mit Kunden angeht. Was früher eher punktuell gefordert wurde, wird zunehmend fester Bestandteil der Zusammenarbeit mit Kunden und Partnern. Nachhaltigkeits-Lieferantenfragebögen, Nachhaltigkeitszertifizierungen, das Offenlegen von sogenannten Product Carbon Footprints (PCFs) – das entwickelt sich mehr und mehr zum Standard. Auch gezielte Sustainability Agreements, mit z.B. Grünstromvereinbarungen oder vorgegebenen Klimazielen, im Rahmen von Neuproduktentwicklungen nehmen deutlich zu.
Das erhöht natürlich den Workload, auch wenn es absolut sinnvoll ist, lieferkettenübergreifend an diesen Themen zu arbeiten. Insbesondere, weil die Anfragen nicht standardisiert und über verschiedenste digitale oder analoge Plattformen reinkommen. Aus meiner Sicht sollte es aber generell nicht nur um Transparenz gehen – sondern um echte gemeinsame Gestaltung. Die Entwicklung nachhaltigerer Produkte mit Kunden ist der eigentliche Hebel, um nachhaltigen Impact zu gestalten. Solche Formen der aktiven Zusammenarbeit könnten aus meiner Sicht noch stärker zum Standard werden.
Redaktion: Die regulatorische Dichte im Bereich Nachhaltigkeit hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen und gilt als besonders komplex. CSRD, EU-Taxonomie, CSDDD – viele Unternehmen tun sich mit der Umsetzung schwer. Wie sehen Sie das?
K. Candia Avendaño: Es ist unbestreitbar, dass sich in sehr kurzer Zeit eine hohe regulatorische Dichte aufgebaut hat. CSRD, EU-Taxonomie, Lieferkettensorgfaltspflichten – all diese Richtlinien kommen fast parallel und mit teils unzureichender Verzahnung. Das überfordert viele Unternehmen, insbesondere weil zwei Voraussetzungen oft nicht erfüllt sind: Erstens fehlt es an durchgängiger Digitalisierung und belastbarer Datenverfügbarkeit. Zweitens sind die fachlichen Ressourcen – vom ESG-Controlling bis zur regulatorischen Interpretation – vielerorts erst im Aufbau.
Dennoch: Die inhaltliche Stoßrichtung dieser Regulatorik ist richtig. Sie schafft Rahmenbedingungen, um systematisch ökologische und soziale Risiken zu analysieren, Geschäftsmodelle zukunftsfest auszurichten und letztlich auch Chancen strategisch zu erkennen. Sie zwingt Unternehmen zur strukturellen Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit – das ist langfristig ein Vorteil, auch wenn es kurzfristig anspruchsvoll ist.
Redaktion: Was bräuchte es aus Ihrer Sicht, damit diese Transformation flächendeckend gelingt?
K. Candia Avendaño: Es braucht gezielte politische Unterstützungsmaßnahmen: digitale Infrastrukturen, die standardisierte ESG-Datenerhebung ermöglichen, praxisnahe Leitfäden, gezielte Förderprogramme, aber auch eine klare Berücksichtigung der Realitäten im Mittelstand. Das betrifft nicht nur große Unternehmen, sondern explizit auch kleinere Betriebe, die dieselben Anforderungen mit deutlich weniger Ressourcen stemmen müssen. Nachhaltige Transformation darf kein strukturelles Risiko für bestimmte Unternehmensgrößen bedeuten.
Redaktion: Trotz der zahlreichen Herausforderungen - wie setzen Sie Nachhaltigkeit bei Lohmann konkret um, jenseits von Berichten und regulatorischen Vorgaben?
K. Candia Avendaño: Wir arbeiten systematisch daran, Nachhaltigkeit strukturell im Unternehmen zu verankern. Dazu gehört zunächst, ein gemeinsames Verständnis dafür zu schaffen, was Nachhaltigkeit in unserem spezifischen industriellen Kontext bedeutet – für einzelne Funktionen, Geschäftsprozesse und Entscheidungsebenen. Es geht darum, Nachhaltigkeit konkret und handhabbar zu machen, Potenziale zu erkennen und die Auswirkungen auf Prozesse, Produkte und Zusammenarbeit frühzeitig zu adressieren.
Gleichzeitig können wir auf bestehende Grundlagen aufbauen. Lohmann hat bereits früh wichtige Schritte in Richtung nachhaltiger Transformation unternommen – etwa durch Investitionen in lösungsmittelfreie Produktionstechnologien und die Entwicklung umweltfreundlicherer Produktlösungen. Für diese Aktivitäten wurde Lohmann auch mehrfach ausgezeichnet, was zeigt, dass die strategische Relevanz von Nachhaltigkeit im Unternehmen früh erkannt wurde. Unser Ziel ist es, diese Initiativen weiterzuentwickeln, gezielt zu verstetigen und stärker mit den Anforderungen der Zukunft zu verzahnen.
Redaktion: Was ist aus Ihrer Sicht für das Management von Nachhaltigkeit besonders wichtig?
K. Candia Avendaño: Ein wichtiger Hebel ist der Ausbau eines globalen Nachhaltigkeitscontrollings und Reportings, das eine datenbasierte Steuerung entlang klar definierter Nachhaltigkeitsziele ermöglicht. Ergänzend helfen aber auch interne oder externe Audits – wie z.B. im Rahmen von Zertifizierungen –, um systematisch Verbesserungspotenziale entlang der Wertschöpfungskette zu identifizieren und zu adressieren. Insbesondere, wenn man diese intern durchführt, ist hier der Lerneffekt hoch.
Ich persönlich freue mich auf die nächsten Schritte und auf die Innovationen, die noch vor uns liegen, und insgesamt auf die Möglichkeiten, die nachhaltiges Wirtschaften eröffnet. Auch wenn klar sein muss: Diesen Weg kann kein Unternehmen allein gehen. Nur mit strukturellen Verbesserungen und gemeinsam mit Kunden, Partnern, Lieferanten und allen anderen Beteiligten entwickeln wir uns weiter. Da bin ich allerdings zuversichtlich.